1606: Die große Pest bricht aus

„Mit gutem Grund kann man das 17. Jahrhundert ein Jahrhundert des Leidens für unser Dorf nennen. (…) In den ersten Julitagen erkrankten mehrere Einwohner des blühenden Dorfes an einer Krankheit, die man lange nicht mehr gesehen hatte. Der furchtbare Gestank, der aus den Stuben der Kranken strömte, ließ über Nacht die entsetzliche Gewissheit aufkommen, dass „die Pest“ sich eingeschlichen hatte. (…) Nun tobte die Seuche sich aus. Keine Woche verging ohne Bestattungen. Manchmal mussten an einem Tage mehrere Tote zum Kirchhof getragen werden. Als das Jahr 1606 zu Ende ging, waren 148 Leichname aus den Häusern des kleinen Dorfes geschafft worden, davon 7 von Januar bis Ende Juni und 141 von Anfang Juli bis zum Jahresschluss, also etwa ein Sechstel der gesamten Einwohnerschaft. (…)

Mit dem Jahr 1607 verlangsamte sich zuerst das große Sterben. (…) Doch häuften sich – als der Winter zu Ende war – die Todesfälle bald wieder, so dass auf dieses Jahr mit 112 Toten wieder ein Jahr des Schreckens wurde. (…) Der Winter 1607/1608 brachte abermals eine kurze Sterbepause. Doch flackerte die furchtbare Seuche auch in den Jahren 1608 und 1609 noch gelegentlich auf.  Nie wieder hat unser Dorf ein solches Massensterben zu erleben brauchen.

Kein Wunder, dass der kleine Kirchhof, auf dem die Gemeinde von alters her ihre Toten begrub, schnell voll belegt war. (…) Wie Pfarrer Johann Philipp Theobald in einem Gutachten über das Eigentumsrecht am Friedhof im Jahre 1781 ausführlich schildert, legte man damals – im ersten Jahr der Pest 1606 – „auf der Morgenseite der Kirche große Gräben an und warf ihrer Viele zusammen, wie [im Jahre 1781] noch lebende Zeugen genug vorhanden, die es bei der Auferbauung unsrer neuen Kirche gesehen haben (1762 – 1765), wo man bei der Ausgrabung des Fundaments die Gerippe übereinander liegend antraf. Man fürchtete sich, dergleichen Gräber je wieder zu öffnen, und sah sich genötigt, einen Totenhof außer dem Ort anzuschaffen.“ Peter Dietz, ein Einwohner des Dorfes, schenkte der reformierten Kirche einen Acker „zum neuen Begräbnis“. Durch Zukauf eines daneben liegenden Landstücks von Michael Lucas wurde dieser neue Totenhof vergrößert. Vom 21. November des Pestjahres 1606 an wurden die Leichname – offenbar ohne Sarg – dorthin zur Bestattung gebracht. Erst 1608 konnte man daran gehen, diesen Acker (aus dem dann der heute noch erhaltene Friedhof an der Gelnhäuser Straße wurde) ein wenig anzulegen. Dieser Friedhof wird in den Protokollen gelegentlich auch “der Kirchhof an der Brücke“ genannt, weil damals dort noch die Brücke über den Bach führte.

Quelle:  Zitat aus Friedrich Wilhelm Schlott: Niederrodenbach wie es einmal war. Die Geschichte eines alten Dorfes, 1970, S. 82 ff. Der Text ist zugunsten der Lesbarkeit leicht modifiziert.